Vorsorgevollmacht; Auftragsverhältnis; Rechnungslegungspflicht

Amtliche Leitsätze:

  1. Das eine Rechnungslegungspflicht auslösende Auftragsverhältnis kann nicht schon aus einer bloßen Bevollmächtigung als solcher abgeleitet werden. Sie betrifft regelmäßig nur das rechtliche Dürfen nach außen. Erforderlich ist die Einigung darüber, dass jemand für einen anderen in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss.
  2. Der Grundsatz, wonach Ehegatten regelmäßig kein Auftragsverhältnis untereinander begründen, gilt wegen des die Ehe prägenden besonderen Vertrauensverhältnisses nicht pauschal für andere Angehörigenbeziehungen. Daraus folgt für das Verhältnis der Mutter zu dem von ihr bevollmächtigten Sohn indes auch nicht umgekehrt bereits „automatisch“ ein Auftragsverhältnis (nebst Rechnungslegungspflicht). Entscheidend sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles.
  3. Einigt sich eine Mutter mit ihrem erwachsenen, mit ihr nicht im selben Haushalt lebenden Sohn darauf, dass, falls sie irgendwann durch Krankheit oder Behinderung vorübergehend oder dauerhaft selbst nicht mehr dazu in der Lage sein sollte, ihre rechtlichen Angelegenheiten zu regeln und ihren Willen zu äußern, der Sohn sich um die Regelung ihrer rechtlichen Angelegenheiten kümmern soll, und wird ihm im Zusammenhang mit dieser Einigung von der Mutter eine ausdrücklich nur unter denselben Voraussetzungen geltende Vorsorgevollmacht erteilt, ist regelmäßig von einem zum Eintritt der entsprechenden Hilfsbedürftigkeit der Mutter wirksam werdenden Auftragsverhältnis auszugehen; ein solches Auftragsverhältnis verpflichtet den Sohn in der Regel dann auch zur Rechnungslegung.
  4. Soweit ein auf die Erben einer Vollmachtgeberin übergegangener Rechnungslegungsanspruch nicht besteht, lässt das etwaige Auskunfts- und Zahlungsansprüche der Erbengemeinschaft gegen den Bevollmächtigten unberührt.

OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 28.04.2021 – 9 U 24/20

BGB §§ 662, 666, 158 Abs. 1, 167, 1896 Abs. 2 S. 2, 1922, 2027, 2038 Abs. 1 S. 1, 2039
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1, 254
JVEG  20

I. Einführung

Die Parteien sind Geschwister. Zwischen ihnen und ihrem Neffen D., dem Sohn ihres Bruders G., besteht eine Erbengemeinschaft nach der im Jahr 2018 verstorbenen Mutter bzw. Großmutter, Frau E.

Die Klägerin hat Stufenklage gegen den Beklagten erhoben. In der ersten Stufe geht es allein darum, ob der Beklagte der Erbengemeinschaft Rechnung legen muss. Dem entsprechenden Antrag der Klägerin hat das Landgericht weitestgehend entsprochen und den Beklagten zur Rechnungslegung verurteilt. Diese erstinstanzliche Verurteilung bezieht sich auf die Zeit ab der dem Beklagten von der Erblasserin „für den Fall, dass“ sie „auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr in der Lage sein sollte,“ ihre „rechtlichen Angelegenheiten selbst zu regeln und“ ihren „Willen zu äußern“ erteilten „Vorsorgevollmacht (gilt erst bei Entscheidungsunfähigkeit)“ vom 25.10.2007 bis einschließlich zum 31.3.2017.

Gegen die Verurteilung zur Rechnungslegung hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er meint, er sei für die Erblasserin nur aufgrund seines persönlichen Verhältnisses in Geldangelegenheiten tätig geworden. Deshalb brauche er keine Rechnung zu legen. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Schon die wirtschaftliche Bedeutung der Vollmachtserteilung für die Erblasserin belege den Rechnungslegungsanspruch.

II. Problem

Die Berufung hatte nach Ansicht des OLG Brandenburg teilweise Erfolg.

Für die Zeit ab 12.12.2014 bis einschließlich 31.3.2017 stehe der Erbengemeinschaft gegen den Beklagten ein Rechnungslegungsanspruch gem. §§ 666 Var. 3, 1922, 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Die Klägerin sei gem. § 2039 BGB befugt, diesen Anspruch für die Erbengemeinschaft geltend zu machen.

Die Rechnungslegungspflicht aus § 666 Var. 3 BGB setzte ein Auftragsverhältnis voraus.

Ein Auftragsverhältnis könne nicht schon aus einer bloßen Bevollmächtigung als solcher abgeleitet werden (OLG Brandenburg, Urt. v. 19.3.2013 - 3 U 1/12, Rn. 82; OLG Köln, Urt. v. 19.9.2012 - I-16 U 196/11, Rn. 6). Diese betreffe regelmäßig nur das rechtliche Dürfen nach außen. Ein Auftrag verlange mehr. Erforderlich sei die Einigung, dass jemand für einen anderen in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss (vgl. § 662 BGB).

Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Ehegatten regelmäßig kein Auftragsverhältnis untereinander begründen (BGH, Urt. v. 5. Juli 2000 - XII ZR 26/98, Rn. 14), sei wegen des die Ehe prägenden besonderen Vertrauensverhältnisses nicht pauschal auf andere Angehörigenbeziehungen zu übertragen (vgl. BGH, Beschluss vom 26.6.2008 - III ZR 30/08, Ls. 1 und Rn. 2). Daraus folge für den vorliegenden Fall des Verhältnisses der Mutter (Erblasserin) zum Sohn (Beklagter) indes auch nicht umgekehrt bereits „automatisch“ ein Auftragsverhältnis (nebst Rechnungslegungspflicht).

Entscheidend seien vielmehr alle Umstände des Einzelfalles:

Von diesen Umständen bilde die für die Beteiligten bei Vollmachtserteilung erkennbare wirtschaftliche Bedeutung den indiziellen Ausgangspunkt.

Vorliegend ergebe sich, dass die Erblasserin, als sie davon thematisch seinerzeit in den Medien erfahren hatte, mit der Vorsorgevollmacht genau den und auch nur den Fall vorbereiten wollte, dass sie ihre Angelegenheiten irgendwann zukünftig gesundheitlich oder durch das Alter bedingt, nicht mehr würde regeln können. Das habe mithin den gesamten Lebensbereich der Erblasserin erfasst, und zwar im Zustand eigener Hilfsbedürftigkeit. Schon bei Erteilung der Vorsorgevollmacht sei für die daran Beteiligten absehbar gewesen, dass ein Eintritt des Zustands, für den die Vorsorgevollmacht gedacht war, der Erblasserin kaum noch eigenen Überblick und die eigene Erteilung von Einzelanweisungen erlauben würde. Das erzeuge ab Eintritt dieses Zustands ein Bedürfnis, dass der Bevollmächtigte die Vollmacht initiativ und eigenverantwortlich regelmäßig zur Bewältigung der Angelegenheiten der Vollmachtgeberin verwendet, gerade weil der Vollmachtgeberin dann der eigene Überblick und die Fähigkeit zwangsläufig fehlen würde, Hilfspersonen mit Einzelanweisungen zu leiten. So sei vorliegend nach den Gesamtumständen davon auszugehen, dass die Erblasserin und der Beklagte schon bei Erteilung der Vorsorgevollmacht vom 25.10.2007 darüber einig gewesen sind, dass der Erblasser bei Eintritt des vereinbarten Vorsorgefalles verpflichtet sein würde, die in der Vollmachtsurkunde umfassend genannten weitreichenden Angelegenheiten der Erblasserin zu regeln.

Aufgrund der für den Vorsorgefall unter diesen Voraussetzungen vereinbarten Handlungspflicht des Bevollmächtigten sei wegen der hohen wirtschaftlichen Bedeutung für den Vollmachtgeber eine umfassende Auftragserteilung zu sehen, die - anders als hier bzgl. der Bankvollmachten - über bloßes rechtliches Dürfen hinausgehe.

In dem Zustand, für den eine solche Vorsorgevollmacht gedacht sei, könne der Vollmachtgeber selbst nicht überblicken, was für ihn zu tun ist und was jeweils vom Vollmachtnehmer, der dies aber kann, getan wurde. Damit entstehe dann - im Gegensatz zu der Zeit vor Eintritt des vereinbarten Vorsorgefalls - ein erhöhtes Kontrollbedürfnis des Vollmachtgebers, das unter diesen Umständen in der Regel nur mit einer Rechnungslegung beantwortet werden könne.

Ausnahmsweise sei in solchen Fällen keine Rechnungslegung erforderlich, wenn die Lebens- und Vertrauensverhältnisse zwischen Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer so eng sind, dass Rechnungslegung untereinander ohnehin nicht erwartet wird. Das sei für eine intakte Ehe zu bejahen (BGH, Urt. v. vom 5. Juli 2000 - XII ZR 26/98, Rn. 14), könne aber nicht pauschal, sondern nur bei dementsprechenden Umständen auf Verwandtschaftsverhältnisse übertragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26.6.2008 - III ZR 30/08, Ls. 1 und Rn. 2).

Solche entsprechend engen persönlichen Verhältnisse lagen hier nicht vor:

Das folgte nach Ansicht des OLG Brandenburg schon aus der persönlichen Anhörung des Beklagten. Laut seiner eigenen Schilderung lebten er und die Erblasserin zwar im selben Haus, jedoch jeweils in abgetrennten Wohnungen. Daran habe sich auch während der Zeit der Pflegebedürftigkeit der Erblasserin, in der sie noch in dem Haus lebte, nicht grundlegend etwas geändert.

Auch bei Erteilung der Vorsorgevollmacht vom 25.10.2007 hat die Erblasserin den Beklagten unter den drei Geschwistern als Hauptbevollmächtigten ohne nähere Begründung ausgewählt, nicht erkennbar etwa wegen besonderer emotionaler Nähe.

Auch, als die Erblasserin hilfs- und pflegebedürftig wurde, sei nicht zuverlässig festzustellen, dass der Beklagte sich stärker, geschweige denn besonders erheblich stärker um die Erblasserin gekümmert hat als z. B. die Klägerin. Auch insoweit hätten die persönlichen Anhörungen der Parteien im Wesentlichen übereinstimmend nichts anderes ergeben.

Das demnach für den Vorsorgefall zwischen Erblasserin und den Beklagten vereinbarte Auftragsverhältnis mit Rechnungslegungsanspruch sei mit dem Eintritt des Vorsorgefalls als Bedingung wirksam geworden (§ 158 Abs. 1 BGB). Da die zur Wahrnehmung des Auftrags zwingend erforderliche Vollmacht vom 25.10.2007 selbst unter entsprechend aufschiebender Bedingung stand („gilt erst bei Entscheidungsunfähigkeit“), könne für das zugehörige Auftragsverhältnis nichts anderes gelten.

Der Vorsorgefall „Entscheidungsunfähigkeit“ der Erblasserin ist ab 12.12.2014, dem Tag ihrer stationären Krankenhauseinweisung, welchem andauernde Pflegebedürftigkeit folgte, eingetreten.

Der nach alldem für die Zeit vom 12.12.2014 bis 31.3.2017 gegebene Rechnungslegungsanspruch der Erbengemeinschaft sei entgegen der Auffassung der Berufung nicht gemäß § 242 BGB verwirkt oder seine Geltendmachung treuwidrig; seine Erfüllung ist auch nicht „unmöglich“.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Kontrolle des mittels einer Vorsorgevollmacht Bevollmächtigten durch eine entsprechende Rechnungslegungspflicht.

Sie verdeutlicht, dass gerade, wenn der Bevollmächtigte nicht der Ehepartner des Vollmachtgebers ist, die Vereinbarung einer Rechnungslegungspflicht, oder ggf. deren Ausschluss, in Betracht gezogen werden sollte. Ein eine solche Pflicht auslösendes Auftragsverhältnis kann nicht schon aus einer bloßen Bevollmächtigung als solcher abgeleitet werden. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls, womit sich eine ausdrückliche Regelung anbietet.


Rezension des Urteils des OLG Braunschweig  v. 28.04.2021 - 9 U 24/20; „Vorsorgevollmacht / Auftragsverhältnis / Rechnungslegung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 10  Oktober 2021, S.562 f


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